Von Sophie Meub
Gemeinsam stehen sie im Scheinwerferlicht, der kleine Puppen-Junge und der Mann, der ihn im Arm hält und mühelos im Kreis wirbeln lässt. Im Dunkeln der Schaubude haben sie einander gefunden, bauen sich gegenseitig auf, tragen die Identitäten, die der jeweils andere ihnen schenkte. Der Junge trägt das Geschenk des Puppenspielers – ein Batman-Kostüm – und seine gläsernen Kulleraugen scheinen erstmals vor Freude statt voll Tränen zu glitzern.
Der Mann auf der Bühne ist Tibo Gebert, ein freiberuflicher Puppenspieler, der als Regisseur, Autor und Puppenbauer sein Stück „Hero“ präsentiert. Er ist nicht nur der einzige Darsteller, sondern auch der Kopf hinter dem Konzept, der Bühne und der Puppe. Bei dieser handelt es sich um einen kleinen Jungen von etwa 10 Jahren, deren kindliche Züge und funkelnde Glasaugen das Publikum in ihren Bann ziehen. Gleichzeitig verströmt die Puppe etwas Gespenstisches, besitzt eine traurige Hilflosigkeit wie ein Kind, das im Kaufhaus seine Eltern sucht. Der Spieler begegnet ihr auf eine zärtliche Weise: hält sie an der Hand, hilft ihr bei ihren ersten Schritten und nimmt sie in den Arm, wenn sie zittert.
Wer sind wir? Wie finden wir zu uns selbst? Wie machen wir uns sichtbar? Es sind diese Fragen, die Gebert in „Hero“ stellt. Dazu braucht er keine Sprache. Kleinste Bewegungen des Spielers und seiner Puppe reichen, um große Bilder zu erzeugen. Auch sein Bühnenbild ist betont schmucklos: Auf der schwarzen Bühne steht ein kegelförmiges Zelt und ein kleiner Hocker, auf dem er zu Beginn die zusammengesackte Puppe findet. Alle anderen Räume werden allein durch das Spiel von Licht und Schatten erschaffen. Seine Welt findet sich in der Liminalität, tritt nur schemenhaft in Erscheinung und verflüchtigt sich nach wenigen Augenblicken. Die unruhige Geräuschkulisse und Gesten vermitteln viele Eindrücke, doch einer konkreten Interpretation entziehen sie sich mit aller Kraft. Erst im Kopf des Publikums fügen sich die Konturen des Geschehens zu einer Geschichte zusammen.
Auch das Mysterium um die Figur der Erzählung bleibt bis zum Ende erhalten. Wenn man den Ankündigungstext gelesen hat, weiß man um Geberts queere Geschichte, liest den Abend als eine Begegnung mit sich selbst, als eine Geschichte der Selbstannahme. Aber der Abend funktioniert auch ohne solches Vorwissen. Mal wirken die Begegnungen von Spieler und Puppe fürsorglich, mal übergriffig und bis zum Ende geheimnisvoll. Gebert baut als Spieler den kleinen Jungen auf, lehrt ihn, sich zu bewegen und schenkt ihm am Ende den Mantel eines Superhelden. Gleichzeitig bleibt sein Gesicht bis zum Finale in seiner Hoodie-Kapuze verborgen, aus der nur ein paar Haarsträhnen hervorragen, die an den blonden Schopf des Jungen erinnern. Man ahnt, dass beide Teil einer Identität sind. Erst als der Junge im Superheldenkostüm vorsichtig Geberts Wange streichelt, legt auch der Puppenspieler seine Verkleidung ab, präsentiert er sein eigenes, älteres Ich mit kurzem, angegrautem Haar.
Durch seine langen und teilweise etwas zu ausgedehnten Szenen lässt „Hero“ viel Raum zum Nachdenken. Es macht die Emotionalität der Begegnung mit sich selbst zum dramaturgischen Höhepunkt. Dabei bleibt besonders in Erinnerung, wie Gebert seine Puppe tröstet, wenn sie in seinem Arm schluchzt und sie bei einem späteren Wutanfall bändigt. So überzeugt der Abend durch seine meisterhafte visuelle Erzählung, die dem Publikum einiges an Mitgefühl und Denkarbeit abverlangt. In seiner Welt aus Schattenspielen und Heldengeschichten zeichnet er ein Bild der menschlichen Psyche, das an den Wurzeln unseres Seins kratzt und die Zuschauenden einlädt, sich selbst zu begegnen.