Josephine Findeisen forscht in „Working Class Dance Group” weiter nach dem Zusammenhang von Körper und Klasse.

Von Dilara Buzoğlu

Geräuschvoll fährt ein rotes Cabriolet in den Hof der Sophiensæle. Technosounds werden lauter, je näher sie kommen. Die Masse verstummt. Ihre Blicke wandern auf das Berliner Kennzeichen, dessen Zahlenreihenfolge der einen oder anderen bereits bekannt sind: 1312. Drinnen zwei Personen, die rauchen, aussteigen und ihren Soundblaster auf den Boden platzieren. Die Show beginnt.

Das ist keine Szene aus einem Musikvideo, sondern Teil der Performance „Working Class Dance Group“ von Choreografin Josephine Findeisen in Zusammenarbeit mit Co-Performerin Melissa Ferrari. Findeisen thematisiert in ihr ihre anhaltende Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Klasse und Geschlecht. Bewusst spielt sie mit Stereotypen. Deutlich wird etwa der im Programmheft angekündigte Bezug zu den Prololesben, eine Selbstbezeichnung linker Lesben aus den 1980er und 1990er Jahren, die sich mit ihrem Bezug zu Arbeiter:innenfamilien und -verhältnissen zusammenfanden.

Aber es gibt weitere historische Referenzen. Da ist der Anfang im Hof
 das Vorfahren mit dem roten Cabriolet  die Performance beginnt, man könnte sagen, mit einem Knall. Jetzt wird auch klar, wieso sie einige Minuten später beginnt, als ursprünglich geplant. Findeisen und Ferrari performen hier im Hof der Sophiensæle eine knapp zehnminütige Sequenz, die sich an manchen Stellen wie ein Kampf deuten lässt, aber auch einige romantische Elemente hat – beide flirten miteinander, dann sitzen sie gemeinsam auf der Motorhaube. Die Musik wechselt zu klassischer Musik und die erst harten Bewegungen werden sanfter – eine Referenz auf Ferrraris Hintergrund im Ballett. Dann packen die beiden Performerinnen ihren Soundblasterein, schmeißen noch schnell einen Deutschrap-Track an und laufen jubelnd und gemeinsam mit den Zuschauer:innen die vielen Treppen hoch in den Hochzeitssaal der Sophiensæle, wo die Performance weitergeht.

Wie manifestieren sich soziale Realitäten im Körper? Wie wird Klasse körperlich verhandelt? Findeisen und Ferrari versuchen sich diesen Fragen im Tanz zu nähern. Dabei sollen weniger einfach Arbeitsabläufe dargestellt, sondern Spuren und Überbleibsel dieser Arbeit im Körper untersucht werden. Klasse sei schließlich auch eine körperliche Erfahrung, meint Findeisen. Beide Performerinnen arbeiten hierzu mit Gesten, vor allem die der Hände und Arme. Plakativ werden auch Tischbeine aus Eisen als Werkzeug genommen. Aber es geht auch um Berührung des Anderen, um Fürsorge – schließlich ist auch Sorge-Arbeit Arbeit.


Die wohl eindrücklichste Szene des Abends ist eine Pyramide aus Kristall-Weingläsern, die allmählich vor den Augen der Zuschauer:innen entsteht. Während Findeisen und Ferrari die Pyramide aufbauen, hört das Publikum vom Band ein Gespräch, in dem sich die Performerinnen Fragen über Klasse stellen und versuchen, sie selbst mit Hilfe eigener biografischer Erfahrungen oder der von Freund:innen zu beantworten. Das reicht von „Was ist dein Lieblingessen?“ – „Schoko-Cornflakes vom Discounter“ bis hin zu Zitaten aus „The Melancholia of Class“ von Cynthia Cruz. Am Ende steht die Pyramide aus den Kristallgläsern, die mit Wasser gefüllt sind und aus denen ein durch Trockeneis erzeugter Stickstoff dampft. Luxus für alle – das Publikum ist eingeladen, sich ein Glas zu nehmen. Nach einer knappen Stunde gibt’s berechtigten Beifall.